Es passiert selten, aber manchmal bekommt sogar mein Optimismus Dellen und ein paar Kratzer. Momentan frage ich mich, ob der allgemeine Menschenverstand, gesundes Mittelmaß und die Toleranz gerade irgendwo zusammen Urlaub machen. Sie sind schon eine ganze Weile verschwunden … Wahrscheinlich gestrandet auf einer einsamen Insel, vergessen im Meer der Gleichgültigkeit und ohne Rückflugticket heim in die Realität. Ab und zu schicken sie eine Postkarte, aber das war es dann auch.
Geht das nur mir so? Oder verstärkt die Coronakrise gerade ein Phänomen, das mich schon eine ganze Weile irritiert bedrückt? Ich habe manchmal das Gefühl, die Welt teilt sich auf in Schwarz und Weiß (und damit sind keine Pigmente gemeint). Meinungen und Positionen werden als absolut und vor allem als absolut wahr erachtet und verteidigt, als ob es kein Morgen mehr geben würde. Soviel Verbohrtheit macht mich traurig.
Was fehlt: ein gesundes Mittelmaß
Mein Bedarf an täglichen Nachrichten ist jedenfalls gerade gesättigt. Ich habe keine Lust mehr, mich mit News zu versorgen. Weder online noch offline. Die Lager der unterschiedlichen Meinungen stehen sich unversöhnlich gegenüber und keiner gibt auch nur ein Yota nach. Mit dem Anspruch an die eine richtige Weltanschauung und Deutungshoheit wird vor allem in den sozialen Medien aufeinander eingehackt, dass einem davon schwindlig werden könnte. Und leider, leider ist das nicht erst so, seit uns ein fieses Virus in Schach hält.
Wann ist uns die Toleranz abhanden gekommen?
Dabei leben wir in einer Zeit, in der sich jeder seinen eigenen Lebensstil nach Herzenslust selbst basteln kann. (Fast) alles geht, die Möglichkeiten, ganz nach den eigenen Vorstellungen zu leben, sind so groß wie nie zuvor. Jeder könnte kann nach seiner Façon selig werden. Wunderbar! Aber vielleicht ist das ja zu viel der Freiheit und Eigenverantwortung für einige? Warum sonst spaltet sich die Gesellschaft gefühlt in verschiedene (Lifestyle-)Lager: Veganer gegen Fleischesser, Radler gegen Autofahrer, Befürworter gegen Gegner … und Corona setzt dem ganzen im wahrsten Sinne des Wortes die Krone auf.
Es ist eine Spirale der verbalen Eskalation, die sich anfühlt wie ein Spießrutenlauf: Auf jeder Seite steht eine Gruppe, festgefahren in ihrer Meinung und dazwischen werden der gesunde Menschenverstand, die Toleranz und die moderate Meinung mit Stockhieben traktiert, bis sie am Boden liegen.
Das Leben ist nicht schwarz-weiß
Aber es ist doch so: die absolute Wahrheit gibt es nicht. Jeder von uns nimmt diese Welt auf seine ganz eigene Weise wahr, jeder hat seine eigene Landkarte. Reines Schwarz oder reines Weiß sind dabei nur die Extreme des gleichen Phänomens, beiden fehlt die Farbe. Und in einer Welt ohne Farbe möchte ich nicht leben …
Der Wunsch nach der absoluten Wahrheit, dem extremen Schwarz oder Weiß ist wohl auch der Wunsch nach Sicherheit. Wenn die eigene Meinung oder der eigene Lifestyle absolut richtig ist, dann muss wohl die “der anderen” zwangsweise absolut falsch sein. Zusammen mit den Gleichgesinnten kann man sich dann auf die Schulter klopfen, denn man selbst hat ja – wie soll es auch anders sein – alles richtig gemacht. Der Mensch ist und bleibt eben ein Herdentier.
Wann ist uns gesundes Mittelmaß abhanden gekommen? Wann haben wir verlernt, mit der Ambivalenz zu leben. Ja, das muss man aushalten können. Dazu muss man reflektieren und immer wieder neu bewerten, was außen aber auch innen geschieht, um eine Balance zu schaffen. Ein Gleichgewicht, das uns alle zu Gewinnern macht erfordert Achtsamkeit und ein Geben und Nehmen, nicht nur einen Blick auf die eigenen Befindlichkeiten und den eigenen Vorteil.
Die eigene Freiheit hört genau da auf, wo sie die Freiheit eines anderen einschränkt. Niemand hat ein Recht auf „mehr Freiheit“ als andere. Wir kommen in dieser Situation, in dieser Gesellschaft nur weiter, wenn wir wieder lernen, toleranter miteinander umzugehen und miteinander zu reden, statt uns zu attackieren.
Die Chance für eine Trendwende ist genau jetzt
Habe ich nicht erst vor kurzem über die Möglichkeiten geschrieben, die in dieser Krise stecken? Über unsere Sehnsucht nach einer Welt mit mehr Respekt, Achtsamkeit und echtem Miteinander (den Artikel findest Du hier)?
Denn das Leben ist nicht schwarz-weiß, es ist auch nicht grau. Ganz im Gegenteil, es ist kunterbunt, es leuchtet in allen Farben, wenn wir es zulassen. Ich möchte nicht in einer extremen Gesellschaft oder in einer grauen Welt leben. Ich möchte in einer Welt leben, in der wir uns gegenseitig respektieren, voneinander lernen und uns in unserer Verschiedenheit inspirieren.
Das war mein Wort zum Sonntag. Etwas ungewohnt vielleicht, hier auf Still Sparkling solche Beiträge zu lesen. Aber wir leben gerade ja auch in ungewohnten Zeiten …
Herzliche Grüße
Deine Martina
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Liebe Martina,
das ist ein ganz großartiger Blogbeitrag. Ich bin bei all diesen Diskussionen manchmal sprach- und hilflos. Jetzt werde ich deinen Satz anbringen, dass die eigene Freiheit dort aufhört wo sie die Freiheit anderer einschränkt. Das ist eine grandiose Grundlage für weitere Diskussionen und nimmt vielleicht den Wind aus den Segeln.
Einen schönen Sonntag. Deine Annett
Liebe Annette,
vielen Dank für Dein Feedback. Ja sprach- und ein wenig hilflos trifft es genau. Manchmal schicke ich ein Stoßgebet nach oben: Oh Herr, lass Hirn vom Himmel regnen 😉
Liebe Grüße
Martina
Hi Martina,
tja, was soll man von Menschen erwarten, deren Lebensraum auf wenig Zentimeter geschrumpft ist, weil Klopapier und Dosen-Ravioli allen Raum einnehmen.
Ich hatte gehofft und bin eigentlich auch überzeugt, dass viele Menschen aus der Krise gelernt haben. Ich bin geradezu dankbar für den Dämpfer, den ich selbst und den die Menschheit gebraucht hat.
Ich hatte auch gehofft, dass all das ein bisschen nachhaltig ist. Aber da kommt vielleicht auch diese ungute deutsche Mentalität zum Ausdruck, dass eine ‘überwundene’ Krise gar keine echte Krise war, man also auch keine Einschränkungen gebraucht hätte…
Das Glas ist mal wieder halb leer. Echt nur nervig!
Am Ende des Tages ist es wie bei allem: wir müssen einfach alles für unseren kleinen Kosmos versuchen. Je mehr Menschen das tun, desto nachhaltiger wird die Welt. Und wir müssen darauf vertrauen, bzw. eher hoffen, dass alle anderen Menschen das gleiche versuchen….
Das Wort zum Sonntag 😉
LG Nicole
Liebe Nicole,
klar ist, nicht alle entwickeln sich gleich, dazu sind die Lebenswelten ja auch viel zu verschieden. Was ich wirklich gehofft hatte ist, dass dieses “wir sitzen alle im selben Boot” Gefühl auch im Alltag zu mehr Toleranz und Miteinander führt. Statt dessen wird die Diskussion um Maßnahmen und deren Lockerung genauso verbissen und respektlos geführt, wie das vorher in vielen anderen Lebensbereichen auch der Fall war. Aber wahrscheinlich hast Du recht: im eigenen kleinen Kosmos das umsetzen, was man sich gerne wünscht und hoffen, dass das viele andere ebenfalls tun. Never give up!
Liebe Grüße
Martina
Liebe Martina,
das ist ein ganz wunderbarer Beitrag und ich habe bei jeder Zeile gedacht: “Ja, genauso empfinde ich es auch!”
Danke, dass Du dieses Unbehagen ob dieser extremen Positionen ringsum in Worte gefasst hast!
Leider werden es die mit dem Schwarz-Weiß-Denken kaum lesen. Aber es bestärkt wenigstens die anderen, die
es gerne vielfältig und bunt haben!
Liebe Grüße
Erika