Meine Großmutter war eine mutige Frau. Sie hat sich in einer Zeit von ihrem damaligen Mann scheiden lassen, in der dies noch keine Selbstverständlichkeit gewesen ist. Vielmehr noch, sie wurde von der „guten Gesellschaft“ mit mehr als nur einem Naserümpfen quittiert. Sie wusste all dies vorab und ist dennoch konsequent ihren Weg gegangen, ohne sich von bösen Kommentaren und Ausgrenzungen beeindrucken zu lassen. Die Gleichberechtigung steckte damals noch in den Kinderschuhen, trotzdem hat sie es geschafft, selbständig für sich und meinen Vater zu sorgen – auch mit Hilfe ihrer starken Familie. Das war ihr lieber als ein gesellschaftskonformes Leben zu führen, welches sie nicht glücklich gemacht hätte. Für mich ist meine Großmutter darum einmal mehr mein großes emanzipatorisches Vorbild.
Gleichberechtigung – ein Thema in den Medien
Warum erzähle ich das? Ganz einfach, weil vor 100 Jahren Frauen in Deutschland das erste Mal an Wahlen teilgenommen haben. Außerdem tauchen die Themen Sexismus und Gleichberechtigung aktuell wieder verstärkt in den Medien auf. Ich denke dabei an die Demonstrationen weiblicher Trump-Gegnerinnen, an die #metoo Debatten rund um Harvey Weinstein, an die Studie von Maria Furtwänglers MaLisa Stiftung zum Thema “Weibliche Selbstinszenierung in den neuen Medien” sowie die Novellierung des § 219a durch den Bundestag. Für mich genug Anlass, mir selbst zum Thema Emanzipation, meinen eigenen Werten und dem Mut, dafür auch einzutreten, ein paar Fragen zu stellen.
Frauen auf den Straßen
In meiner Wahrnehmung sind seit Jahren nicht mehr so viele Frauen engagiert auf die Straße gegangen, um ihre Stimme zu erheben, wie in letzter Zeit. Wie wunderbar, dass wir heute ohne Befürchtungen lautstark unsere Meinung bekunden dürfen, ohne mit Repressalien rechnen müssen. Meine Oma würde sich ebenfalls sehr darüber freuen, schließlich wusste sie aus erster Hand, wie schwer es ist gegen den Strom zu schwimmen. Es gehört aber auch heute noch eine gehörige Portion Mut dazu, seine Meinung öffentlich zu machen. Trotzdem demonstriert es sich natürlich leichter, wenn man nicht mit Konsequenzen rechnen muss. In der Zeit vor Einführung des Frauenwahlrechts sah das noch anders aus.
Hätte ich daher auch vor 100 Jahren den Mut gehabt, auf die Straße zu gehen und für mein Recht zu kämpfen?
Es ist nämlich tatsächlich erst seit 1919 möglich, dass Frauen in Deutschland wählen dürfen (siehe auch Kasten am Ende des Posts). Ein Recht, das wir heute so selbstverständlich für uns in Anspruch nehmen. Wir haben wahrscheinlich alle lange nicht mehr darüber nachgedacht, mit wie viel Courage und Mühsal es erkämpft werden musste.
Hohn, Spott, Verhaftung und sogar Hinrichtung waren die Konsequenzen für die mutigen Frauen der damaligen Zeit, die nicht länger hinnehmen wollten, fremdbestimmt zu sein und die gleichen politischen Rechte eingefordert haben, wie die Männer. Das ist kein Pappenstiel, wenn man weiter bedenkt, wie abhängig Frauen zu dieser Zeit auch in wirtschaftlicher Hinsicht von den Männern gewesen sind.
Ich frage mich: Hätte ich den Mut gehabt, auch damals schon auf die Straße zu gehen?
Aber vielleicht noch viel wichtiger ist die Frage: Wie sieht es heute bei mir aus? Bin ich bereit, für meine Überzeugungen zu kämpfen?
Ich habe lange darüber nachgedacht …
Zum einen habe ich wohl den rebellischen Geist meiner Großmutter geerbt. Ich mache gerne mal meine Klappe auf, wenn mir was nicht passt – ohne vorher groß über die Konsequenzen nachzudenken. Das war schon immer so und wird sich wahrscheinlich auch nie ändern. Daher fühlen sich meine persönlichen Kämpfe gar nicht wie Kämpfe an. Ich sehe etwas, dass mir nicht gefällt und bekunde es direkt, offen, ehrlich und frei.
Aber anders als meine Großmutter damals habe ich heute das Glück, in einer Partnerschaft auf Augenhöhe zu leben. Natürlich waren nicht alle meine Männer von meiner rebellische Ader begeistert. Aber richtige existenzielle Befürchtungen und Ängste sind mir nie untergekommen. Es hat sich also viel getan in den letzten Jahren, auch Dank dieser großartigen Frauen von damals. Das Thema Scheidung ist heute kein Tabu mehr. Frauen verdienen ganz selbstverständlich ihr eigenes Geld und können selbstbestimmt durchs Leben gehen.
Wofür also noch kämpfen?
Ok, vielleicht klingt das ein wenig zu martialisch und brutal. Sage ich mal lieber:
Was tue ich, um in dieser Gesellschaft meine Werte und Überzeugungen leben zu können? Jetzt und in Zukunft.
Demonstrationen und öffentliches Lautwerden sind meiner Meinung nach wichtig. Sehr wichtig sogar. Aber der Widerstand gegen jegliche sexistische und intolerante Strömung (egal ob gegen Frauen, Minderheiten, Andersdenkende …) beginnt schon viel früher und im kleineren Rahmen. Meine freiheitlichen Werte kann ich vor allem durch konsequentes Vorleben verteidigen. Dazu braucht es auch hin und wieder den Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen und die Stimme zu erheben, um Beleidigungen und Ausgrenzungen entschieden entgegenzutreten. Es geht darum, nicht wegzusehen, sich einzumischen und sich auch selbst nichts gefallen zu lassen, wenn eine Grenze überschritten wird.
Mein Leben ist wunderbar und frei, auch dank der Frauen, die sich für Veränderungen eingesetzt haben. Damit das so bleibt, braucht es Achtsamkeit und den Mut, das erreichte auch zu verteidigen. Diesen Mut habe ich (danke, Oma) und ich weiß aus Erfahrung, dass es viele andere Frauen gibt, die wie ich denken und handeln.
Noch ist das Ziel nicht erreicht
Und dann gibt es auch weiterhin Frauen, die den Mut haben weiterzugehen. Frauen, wie die Ärztin Kristina Heindel, die die Welle um den § 219a ins Rollen gebracht hat. Sie wird hoffentlich die Kraft haben, weiter für ein neutrales Informationsrecht über Abtreibung zu kämpfen. Sie wird sich wie es aussieht mit dem erreichten Status quo von dieser Woche Donnerstag nicht zufriedengeben. Mit ihrer Aufklärungsarbeit agiert sie auch weiterhin im strafbaren Bereich. Diesen Mut muss frau erstmal haben, denn ihre Existenz ist dadurch tatsächlich in Gefahr. Davor und vor allen anderen kämpferischen Frauen – egal wo auf dieser Welt – ziehe ich meinen Hut.
Herzlichst,
Deine Martina
Frauenwahlrecht
Als erste Frau forderte die Französin Olymp de Gourge öffentlich nach der französischen Revolution die Anerkennung privater und politischer Bürgerinnenrechte. Für ihre kämpferischen Schriften und die Nichtanerkennung der neuen Verfassung wurde sie unter dem Terrorregime von Robespierre 1793 unter der Guillotine hingerichtet.
In Deutschland verankert der Rat der Volksbeauftragten am 30. November 1918 das aktive und passive Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger in der Verordnung über die Wahl zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung.
Im Artikel 109, Abs. 2 der Weimarer Verfassung findet sich schließlich der Satz: „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“
Die Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung vom 19. Januar 1919 war die erste, an der Frauen als Wählerinnen und Gewählte teilnahmen. Über 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab. Knapp 9 % der gewählten Abgeordneten waren Frauen.
Heute sitzen im Bundestag über 30 % Frauen als Abgeordnete. Seit dem 22. November 2005 hat Deutschland eine Bundeskanzlerin.
Ich ziehe meinen Hut vor meiner Frau 😘
Was für ehrliche Worte. Vielen Dank für diesen schönen Beitrag. Gerne mehr davon.
Liebe Martina,
vielen Dank für diesen schönen Beitrag. Ich finde es immer toll, wenn Blogger/ Influencer/ Meinungsmacher über den Tellerrand hinausschauen und dennoch ihre Sicht der Dinge vermitteln. Das macht Spaß beim Lesen.
Viele Grüße
Mary-Ellen
Liebe Mary-Ellen,
vielen Dank für dieses schöne Kompliment!
Liebe Grüße
Martina
Liebe Martina,
was für ein großartiger Beitrag !
Ich finde es wirklich mega, wenn neben den durchaus willkommenen Beauty- und Modeinformationen
auch eigene Gedanken über das Leben im allgemeinen und das Leben als Frau, auf Deinem Blog erscheinen.
Du hebst Dich dadurch erfreulicherweise von anderen Blogs ab. Sicher, ein Lifestyle Blog muss keine politischen
Aussagen treffen…. dennoch ist es sehr erfrischend, wenn Du Deine Gedanken, zu einem absolut wichtigen (Frauen)-Thema
mit uns teilst. Es macht Sinn, ab und zu innezuhalten und dankbar für unser jetziges Leben zu sein, das von mutigen Frauen geprägt wurde.
Liebe Ursula,
vielen Dank für Dein schönes Feedback. Das ist für mich eine Ermunterung, genauso weiter zu machen und regelmäßig über den Tellerrand hinauszuschauen. Ich bin sehr dankbar für mein wunderbares Leben. Gerne teile ich meine Gedanken mit meinen Leserinnen und freue mich um so mehr, wenn dann so ein Feedback kommt. Merci!
Liebe Grüße
Martina